Das neue Phänomen heisst «Zoom Fatigue»

    Verordnetes Homeoffice in der Region und die flankierenden Folgen

    Durch die Corona-Pandemie arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice und hängen den ganzen Tag in Videokonferenzen. Laut einer Studie belastet die sogenannte «Zoom-Fatigue» eine Mehrzahl der Arbeitnehmenden und Studierenden.

    (Bild: PEXELS) Eine Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft publizierte: Rund 60 Prozent bestätigen, dass sich bei ihnen eine Onlinemüdigkeit markant bemerkbar mache.

    Eines der Phänomene 2020 war ein Durchbruch der Umsetzungs- und Anwendungskompetenz in weiten Teilen der Bevölkerung bezüglich virtueller Kommunikation und Interaktion. Auch in der Wissensvermittlung mittels virtuellem Unterricht. Kaum ein Weiterbildungsanbieter kann es sich heute noch leisten, nicht fit zu sein im Bereich Online-Learning oder -Coaching. Aber ein Ausdruck macht nun nach bald einem Jahr Online- und Home-Schooling sowie Online-Working die Runde: «Zoom Fatigue». Damit bezeichnet man die Motivationsproblematik und den Überdruss den gesamten Wissenstransfer, alle Besprechungen, Meetings und Interaktionen über Zoom, Teams, Skype und andere Videokonferenzsysteme laufen zu lassen. Präsenzunterricht, der direkte Kontakt zu Kunden, Mitarbeitenden und der direkte Kontakt mit den Mitmenschen fehlt vielen. Lernwerkstatt Olten (lernwerkstatt.ch) CEO Daniel Herzog: «Aktuell bereitet sich in vielen Branchen eine «Zoom-Fatigue aus. Der physische Austausch in Meetings, am Arbeitsplatz, sowie im Präsenzunterricht wird vermisst. Die Vorzüge des virtuellen Unterrichts sind aber nicht zu verleugnen. Hybrider Unterricht – also die wahlweise Teilnahme im Seminarraum oder via Videokonferenzsystem – hat eine grosse Zukunft vor sich.»

    Auch TEKO Basel (teko.ch) Schulleiterin Terry Tschumi findet, dass bei allen Nachteilen, welche die aktuelle Situation mit sich bringe – wie eingeschränkte persönliche Kontakte zu Kunden, Mitarbeitenden, Freunden und Familie sowie die fehlende persönliche Nähe – die «neuen» Wege der Kommunikation auch ihre Vorteile stärker zum Vorschein gebracht hätten: «Lange Distanzen sind keine Hindernisse mehr; die Akzeptanz, ein Meeting online durchzuführen, ist gestiegen. In Bezug auf den Unterricht im Bereich der Erwachsenenbildung liegt der langfristige Vorteil klar bei der Möglichkeit, einen Hybridunterricht durchführen zu können. Während also die einen vor Ort sind, können andere dem Präsenzunterricht von zu Hause online folgen. Damit können verschiedene Bedürfnisse befriedigt werden.»

    Wahrnehmung von Körpersprache und Mikroexpressionen
    Dennoch sind sich alle einig: Die «Zoom Fatigue» wird zu einem Faktor. Die intensive Nutzung von Videokonferenztools führe zu einer anderen Art von Müdigkeit und sogar Erschöpfung als Präsenztermine, heisst es unisono von den Fachleuten, die sich mit den neuen Einflüssen auf unsere Arbeitswelt befassen. Eine Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen publizierte die Details. Die Studie basiert auf einer Befragung im Spätsommer und Herbst 2020 über verschiedene gängige Social-Media-Kanäle. Es war die erste wissenschaftliche Untersuchung über die Onlinemüdigkeit im deutschsprachigen Raum. Rund 60 Prozent der Befragten bestätigten, dass sich bei ihnen eine Onlinemüdigkeit bemerkbar macht, 77 Prozent sagten manchmal und nur acht Prozent selten (gemäss Quelle). Zoom Fatigue sei damit ein Thema für Menschen, die häufig an virtuellen Meetings teilnehmen. Die Konzentration sinke, die Ungeduld steige. Die Studienteilnehmer nannten zudem physische Auswirkungen, wie zum Beispiel Kopf- und Rückenschmerzen.

    (Bild: PEXELS) Besonders bei Online-Konferenzen fehlt es an nonverbaler Konversation. Diese ist und bleibt aber ein wichtiges Element in der Kommunikation.

    Eines der grossen Probleme sei zudem die fehlende Wahrnehmung von Körpersprache und Mikroexpressionen. Nonverbale Konversation ist und bleibt eben ein wichtiges Element in der Kommunikation. Auch nicht zu vernachlässigen ist die so genannte Latenz der technischen Übertragungen. Diese erschwert die Kommunikation. Man fällt sich gegenseitig unbeabsichtigt ins Wort. Was kann also helfen? «Je nach Länge einer Online-Session, sind aktive Pausen wichtig. Es empfiehlt sich, immer wieder kurze Pausen von zirka zehn Minuten einzufügen, so dass die Teilnehmer mental abschalten und sich bewegen können. Dabei ist es ratsam die Kamera und den Ton auszuschalten und beides erst nach der Pause wieder einzuschalten. (Quelle: buhr-team.com/zoom-fatigue-die-ermuedung-durch-virtuelle-meetings). Fachleute raten zudem: Unternehmen als auch die Mitarbeitende sind gefordert. Unternehmen sollten weniger Meetings durchführen und die Mitarbeitenden sollten darauf achten, dass sie nur wirklich notwendige Termine annehmen. Alternativ könne man auch auf Video-Meetings verzichten, wenn die Kommunikation auch per Telefonkonferenz oder Telefonat möglich ist. In den Sessions selbst sei es für alle Beteiligten hilfreich, wenn äussere Störfaktoren minimiert würden. Alle Teilnehmenden sollten auf sich selbst achten: Die richtige Sitzposition wählen, etwas zu trinken bereitstellen, den Raum lüften. Oft werde auch von «Digital detox» debattiert: Ein Verzicht auf einen permanenten Medienkonsum, auf Erreichbarkeit und Push-Nachrichten.

    Bei viel Interaktion auch online weniger schnell müde
    Aber für viele gehört virtuelles Arbeiten jetzt vermehrt zum Alltag – auch wenn man sich eigentlich als «Live Performer» etabliert hat. Pascal Ott beispielsweise. Er ist «Spielförderer» und der Gründer und Geschäftsführer der Basler Firma PROsoludo prosoludo.rocks, die aus der Kombination von spielerischen Elementen und Betriebswirtschaft einzigartige Lösungen für Unternehmen entstehen lassen: «Krisen bieten die Chance, aus dem Status quo auszubrechen. Es scheint, als würden in Krisenzeiten nebst Video-Conferencing spielerische Elemente, Spieltrieb und Kreativität wieder vermehrt im Zentrum stehen. Bei all dem Hype um Remote-Work und Home Office wird oft vergessen, dass während der Pandemie viele im Home Office genau gleich wie bisher arbeiten – aber einfach an einem anderen Ort. Die Aufträge kommen von aussen, jeder ist in seinem Silo, die absolvierte Zeit ist massgebend für die Pflichterfüllung. Und so entsteht wahrscheinlich auch die Zoom-Fatigue. Denn Remote-Arbeit bedeutet: Arbeit und Organisation neu leben, neu denken, Abläufe, Prozesse & Tools neu denken, Verantwortung an den virtuellen Arbeitsplatz an die Mitarbeitenden abtreten, Mitarbeitende zur Remote-Arbeit befähigen, Eigenverantwortung fördern und fordern, Transparenz, Kollaborations-Mindset unterstützen, Fokus auf die Ergebnisse setzen und nicht die Zeit. Seit der Gründung von PROsoludo im 2016 arbeiten wir so. Bei uns dürfen alle mitdenken, Arbeit erkennen, Arbeitspakete selber aussuchen, eigenverantwortlich handeln, Wissen teilen – und da entsteht auch keine Müdigkeit.»

    Auch die HR-Fachfrau Diana Roth www.dianarothcoaching.com kennt das Phänomen und macht auf ein anderes Problem aufmerksam: «Jede Führungskraft zoomt mal schnell mit den Mitarbeitenden und hat das kleine Einmaleins dazu nie gelernt, monologisiert stundenlang vor sich hin und erlaubt gleichzeitig im Laisser-faire-Stil, dass die Kameras ausgeschaltet bleiben. Da entsteht natürlich Zoom Fatigue.» Dabei würde man die menschlichen Regungen schlichtweg nicht genügend wahrnehmen. Auch würden Teilnehmende nicht einbezogen, Handzeichen galant übersehen und jegliches soziale Miteinander einfach unterbunden. Ihr Fazit: «Amateur-Zoomer machen es möglich: der soziale Schmierstoff trocknet aus; langsam – aber sicher.»

    Muneeb Raja, Area Sales Manager bei der Buss AG in Pratteln, ist auf Onlinemeetings angewiesen: «Da wir ein internationales Unternehmen sind, müssen bei uns Onlinemeetings täglich durchgeführt werden. Seit der Corona Pandemie auch intern. Ich kann bestätigen, dass man nach mehreren Stunden Onlinemeeting am Tag sehr müde wird. Wir haben intern einige Regeln aufgestellt: Wir haben alle immer die Kamera an. In Meetings mit mehreren Personen wird der Reihe nach gesprochen. Während jemand spricht, machen sich die anderen Notizen und stellen ihre Fragen danach. Wir legen nach 50 Minuten immer eine zehnminütige Pause ein. Und: Auf einem kleineren Bildschirm ermüdet man schneller. Schlussendlich finde ich aber nach wie vor den persönlichen direkten Kontakt zu einer Person effizienter und es macht definitiv mehr Spass.»

    JoW/DaC

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